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Bis 1870/71 gab es keinen einheitlichen deutschen Nationalstaat, sondern viele kleine und größere Fürstentümer und Königreiche. Der erste erfolgreiche Zusammenschluss deutscher Kleinstaaten war der Norddeutsche Bund, ein Bundesstaat von 22 Mittel- und Kleinstaaten nördlich der Mainlinie, der 1866 entstand und rund 415.000 km² mit 30 Millionen Einwohnern umfasste. Wirtschaftlich und militärisch stand er unter preußischer Vorherrschaft. Über den deutschen Zollverein waren auch der Norddeutsche Bund mit den süddeutschen Staaten verbunden.

Nachdem Spanien 1869 dem Prinzen Leopold Stefan Karl Anton Gustav Eduard Tassilo von Hohenzollern-Sigmaringen (1835-1905) die Königswürde angeboten hatte, fürchtete Frankreich eine Übermacht der Hohenzollern. Eine Garantie auf den Verzicht des Hauses Hohenzollern auf die Krone Spaniens für alle Zeiten verlangte Frankreich vom preußischen König Wilhelm I. (1797-1888). Aus Bad Ems, wo er sich zur Kur aufhielt, sandte Wilhelm I. dem preußischen Kanzler Otto von Bismarck ein Telegramm, in dem er dieses Ansinnen ablehnte und Bismarck bat, die Presse entsprechend zu informieren. Das als Emser Depesche in die Geschichte eingegangene Telegramm wurde von Bismarck so umformuliert, das Frankreich sich veranlasst sah Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg zu erklären. Zu Beginn des Deutsch - Französischen Krieges 1870/71 schlossen sich die süddeutschen Staaten dem Norddeutschen Bund an.

Die Gefangennahme des französischen Kaisers Charles Louis Napoléon Bonaparte (1808-1873) in der Schlacht von Sedan am 2.9.1870 stellte wohl die entscheidende Wende zugunsten Deutschlands dar. Der Krieg endete formell mit der Abtretung des Elsass (mit Ausnahme von Belfort) und einem Teil Lothringens einschließlich Metz an das Deutsche Reich und einer Kriegsentschädigung in Höhe von 5 Milliarden Goldfranc. Der Frieden von Frankfurt wurde am 10.5.1871 unterzeichnet. 3 Monate zuvor, am 18.1.1871, wurde im Spiegelsaal von Schloss Versailles das Deutsche Kaiserreich proklamiert (in diesem Zusammenhang ausgerufen) und der preußische König Wilhelm I. zum deutschen Kaiser gekrönt. Es war der Höhepunkt in Bismarcks unablässigen Bemühungen um die Einigung Deutschlands.

Lange Verhandlungen waren der Proklamation (in diesem Zusammenhang Ausrufung) vorangegangen. Diese erwiesen sich mit den Süddeutschen, besonders mit Bayern, als schwierig. Die Königreiche Württemberg und Bayern bekamen daraufhin in den Bereichen Heer, Post und Eisenbahn erhebliche Reservatrechte (Sonderrechte).

Die Reichseinigung, ein Zusammenschluss von Fürstentümern und Königreichen, war ohne aktive Beteiligung des Volkes zustande gekommen. Preußen war im neuen Reich das größte Bundesland und hatte die absolute Vorherrschaft. Auch der Reichskanzler kam aus Preußen: es war der preußische Minsterpräsident Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen (1815-1898). Das neue Reich war eine konstitutionelle Monarchie, hatte also eine Verfassung und ein Parlament. Der Kaiser, der den militärischen Oberbefehl hatte, ernannte die Regierung, konnte Bündnisse und Verträge mit dem Ausland schließen sowie Krieg und Frieden erklären. Der Reichskanzler hatte den Vorsitz im Bundesrat (der Vertretung der Bundesstaaten) und leitete die Reichsregierung. Der Reichstag, das von dem männlichen Teil des Volkes gewählte Parlament, hatte nur wenig Einfluss auf die Außenpolitik, bestimmte aber die inneren Verhältnisse maßgeblich.

Otto von Bismarck führte eine einheitliche Währung, die Reichsmark, ein, vereinheitlichte Maße und Gewichte sowie das Postwesen und die Eisenbahn. Mit der Reichsgründung war zwar ein Nationalstaat entstanden, aber noch keine Nation. Es bestanden sehr große Unterschiede zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Gebildeten und der übrigen Bevölkerung, von der 90% nur die Volksschule besucht hatten. Durch die Industrialisierung stieg die Produktion stark an und mit ihr die Bevölkerungszahl der Städte (+33%). In den "Gründerjahren" nach 1871 führten hohe französische Kriegsentschädigungen und der Zollabbau zu Geldschwemme und Wachstumseuphorie. Sie war begleitet vom Beginn der industriellen Produktion und einer großen Bautätigkeit in einem meist aufwändigen großbürgerlichen Stil. Die Wirtschaft erlebte dank der wenigen Beschränkungen, der neuen einheitlichen Währung und der französischen Reparationszahlungen einen starken Aufschwung. Fabriken, Eisenbahnen und neue Stadtviertel wurden gebaut, Aktiengesellschaften und Großbanken entstanden. Dennoch kam es 1873/74 durch gewagte Spekulationen und zahlreiche Konkurse zu einer Wirtschaftskrise, der "Gründerkrise". Insgesamt erhöhte sich der Lebensstandard in Deutschland.

Beim Regieren ließ der Kaiser seinem Kanzler Bismarck weitestgehend freie Hand. Bismarcks Außenpolitik war auf Frieden und Entspannung in Europa ausgerichtet; er schloss Bündnisse mit Russland und Österreich.

Seine Innenpolitik war ein "zweischneidiges Schwert": Einerseits unterdrückte Bismarck durch die "Sozialistengesetze" (1878-90) die sozialdemokratischen Kräfte, die versuchten, die (zum großen Teil miserable) Lage der arbeitenden Bevölkerung zu verbessern. Andererseits initiierte er für seine Zeit vorbildliche Sozialgesetze, die es zum Teil noch heute in Deutschland gibt: das Krankenversicherungsgesetz (1883), das Unfallversicherungsgesetz (1884) und das Alters(renten)versicherungsgesetz (1889). (Diese widersprüchliche Politik nannte man auch "Zuckerbrot und Peitsche").

1888 starb Kaiser Wilhelm I.. Sein Sohn, Friedrich III. (1831-1888), war sehr krank und regierte nur 99 Tage. Friedrichs Sohn, Wilhelm II.(1859-1941), wurde schon mit 29 Jahren Kaiser und wollte gern allein regieren. Bald gab es Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem 75jährigen Reichskanzler. Am 20. März 1890 wurde Bismarck von Wilhelm II. entlassen.

Nach dem Tode Bismarcks setzte Kaiser Wilhelm II. seine Politik mit Vehemenz fort. Der Ausbau der Flotte wurde ebenso vorangetrieben wie die Kolonialisierung. Der Versuch sich mit der Arbeiterschaft auszusöhnen misslang.

Im Gegensatz zur unglücklichen und zerrissenen Innenpolitik unter Bismarck stand dem deutschen Reich unter Wilhelm II. eine Epoche der Einigkeit und grosser nationaler Zustimmung bevor. Außenpolitisch war der Gegensatz noch größer. Während Bismarck eine besonnene und friedliche Außenpolitik verfolgte, führte unter Wilhelm II. der imperialistische Gedanke und militärisches Vormachtstreben geradewegs in den Ersten Weltkrieg.

Während nach der Gründerkrise in Deutschland eine wirtschaftliche Rezession einsetzte, führte die fortschreitende Industrialisierung ab 1895 zu einer stetig wachsenden Hochkonjunktur, die erst mit dem Ausbruch des Krieges 1914 beendet wurde. Durch die Vollbeschäftigung in dieser Zeit ebbte auch die Abwanderungswelle aus den agrarischen altpreußischen Gebieten in die westlichen Industriegebiete und die Vereinigten Staaten von Amerika ab.

Aus philatelistischer Sicht begann das neue Jahrhundert mit einem Paukenschlag. Die ersten Ausgaben des deutschen Reiches von 1872 bis 1899 zeigten mit Ausnahme der Ziffernzeichnung zu 10 und 30 Pfennig (Dienstmarken) und der 2 Mark-Marke in Prägung oder Darstellung auch die Embleme des Kaiserreiches, Reichsadler und/oder Krone. Bis zum 31. Dezember 1874 fanden noch einige Marken des Norddeutschen Postbezirks und Badens Verwendung, während die bayerische und die württembergische Postverwaltung ihre Posthoheit weiterhin behielten.

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